Im September 2019 habe ich Island mit einem Elektroauto umrundet - und zwar mit für Touristen wichtigen Abzweigungen von der Ringstraße wie z.B. zum Geysir oder dem Diamantenen Kreis im Nordosten der Insel. Reine Elektroautos sind sicher zu Recht umstritten. Aber wenn, dann haben sie in Island, wo aller Strom regenerativ gewonnen wird, ihre Daseinsberechtigung.
Nach einigen Vorbereitungen, wie dem Herunterladen verschiedener Apps (ohne Smartphone geht sowas leider nicht) und einer Reihe Gesprächen mit der Autovermietung Europcar und zwei isländischen Energieanbietern - die meisten der Ladesäulen im Lande stellen die Firmen ON und Isorka - geht es los..
Ich bin gespannt auf die für mich persönliche Neuerfahrung der Elektromobilität. Als Mietwagen ist ein Nissan Leaf vorgesehen, realistische Reichweite: 180 - 200 km. Die weiteste Entfernung zwischen den Ladesäulen ist derzeit: 175 km, versehen mit guter Höhendifferenz. Das klingt spannend. Ein befreundeter Fachmann rät mir, ein gutes Verlängerungskabel mitzunehmen. Im schlimmsten Fall könnte ich bei einer abgelegenen Farm Strom aus der Steckdose bekommen, eine damit verbundene 12-stündige Ladezeit ließe sich mit einer Übernachtung überbrücken.
Um es vorweg zu nehmen: das habe ich nicht in Anspruch nehmen müssen. Alle Etappen hat der Wagen gut gemeistert, die Streckenangaben der Apps waren zuverlässig, die Technik hat nie gestreikt. Auch die Ladestationen ließen sich immer zuverlässig starten. Dass das auch anders laufen kann, hört man immer wieder in Erfahrungsberichten anderer Elektro-Mobilisten.
Meine erste Station in Island ist die berühmte Springquelle Strokkur im Hochtemperaturgebiet Geysir. Im danebenliegenden Hotel, in dem ich übernachte, kann ich auch das erste Mal den Wagen aufladen. Von den 220 km Reichweite sind nach 160 km Fahrt nur noch 20 km übrig. Am nächsten Morgen geht es gestärkt und mit vollem Akku weiter zum Goldenen Wasserfall Gullfoss, der nur 10 Autominuten vom Geysir entfernt ist. Im Licht der herbstlichen Morgensonne leuchtet der Wasserfall auch wirklich golden.
Ziel der nächsten Etappe ist der ganz im Süden Islands gelegene Ort Vík. Das bedeutet, einmal unterwegs in Hvolsvöllur zwischenladen. Die Zeit (eineinviertel Stunden) nutze ich, um das dortige Lava-Center zu besuchen, das eine beeindruckende, sehr interaktive Ausstellung über die letzten dokumentierten Vulkanausbrüche Islands und Vulkanismus im Allgemeinen zu bieten hat. Hier kann man von der Dachterrasse auch gleich drei der Zentralvulkane Islands live sehen. Der Stopp ist nicht nur für Vulkanologen sehr lohnenswert.
Von Hvolsvöllur bis nach Höfn reihen sich im Abstand von 50-60 km regelmäßig Ladestationen, so dass an der Südküste das Vorankommen problemlos ist.
Als nächstes folge ich dem Tipp von Katrin, der Betreiberin des GH Lindártún (einem unserer neueren Stammgästehäuser im Süden Islands), und besuche den weniger bekannten Wasserfall Glyggafoss. Der Wasserfall ist wirklich schön, wie er sich so durch die Schlucht fräst und in mehreren Kaskaden nach unten fällt. Bei Vík lasse ich mir einen Strandspaziergang am Reynisfjara nicht entgehen. Hier rauscht der Atlantik mit voller Wucht an die Südküste, und dementsprechend ist hier immer was los. Wer ein paar hundert Meter geht, hat den Strand auch ganz für sich allein. Das trifft letztlich auf viele Sehenswürdigkeiten Islands zu, auch wenn sie gut besucht sind. Auf dem Weg von Vík zum großen Gletscher Vatnajökull liegt u.a. die schöne Schlucht Fjardrargljúfur. Die Schlucht hat mit dem Videodreh von Justin Bieber große Bekanntheit erlangt. Vorher war sie eher Insidern bekannt.
Direkt am südlichen Ende des Vatnajökull liegt Skaftafell, Ursprungs- und Kernteil des Nationalparks Vatnajökull, dem seit 2008 größten Nationalpark Europas. Eine Wanderung hier, wenigstens bis zum Svartifoss, gehört für mich immer dazu. Der Svartifoss ist ein hübscher kleiner Wasserfall, gerahmt von stattlichen Basaltsäulen, deren Farbe Namensgeber ist (schwarzer Wasserfall). Meine kommende Etappe führt mich am Vatnajökull vorbei bis in die südlichen Ostfjorde nach Djúpivogur. Ein Stopp an der Gletscherlagune Jökulárlón mit ihren Eisbergen und den vielen Robben ist Pflicht. Ebenso der Besuch des danebenliegenden Strandes, an den die kleineren, glitzernden Eisbrocken gespült werden, wenn sie den Abfluss des Eisbergsees passiert haben. Zu Recht nennt man den Strand Diamond Beach. Schöne Fotos sind hier immer machbar.
Von nun an muss ich mehr Konzentration auf die Reichweite lenken. Die Dichte der Ladestationen nimmt im Osten rapide ab. Nach einem kleinen Fotostopp am Ende des Flugfeldes Djúpivogur, das direkt auf dem Strand mündet, geht die Fahrt weiter gen Norden und bis zum See Myvatn. Dazwischen liegt die Öxi-Piste, eine steile Abkürzung der Ringstraße nach Egilsstaðir, dem Knotenpunkt in den Ostfjorden. Von 0 auf knapp 550 Meter windet sich die Piste in die Berge, es bieten sich immer wieder spektakuläre Aussichten. In Egilsstaðir ist Nachladen erforderlich. Bis zum Myvatn wartet nun die längste Etappe ohne Lademöglichkeit auf mich. Letztlich erreiche ich die Ladesäule direkt an meinem Hotel (Fosshotel Myvatn) mit 25 km Rest bei 80 km/h Durchschnitt. Der Tempomat ist auf derlei Touren das wichtigste Utensil im Auto. Bevor ich dort einchecke, vertrete ich mir die Füße und besteige den Vindbelgarfjall. Von hier aus hat man die beste Sicht auf den See und die angrenzenden Gebiete.
Es folgt der Diamond Circle. Vom Myvatn geht es zunächst auf Asphalt bis zum gewaltigen Dettifoss, dem größten Wasserfall Islands. Weiter führt eine rüttelige Schotterpiste bis nach Ásbyrgi, für viele Isländer der schönste Ort ihrer eigenen Insel. Ich fahre vorher noch einen Abstecher zu den Hljódaklettar zum Wandern. Auch dieses Gebiet ist bei den Einheimischen sehr beliebt. Der Fluss hat hier Vulkanschlote freigelegt, die teils rosettenförmige Basaltformationen gebildet haben, zwischen denen man entlangklettern kann.
Ásbyrgi selbst ist eine hufeisenförmige Schlucht, ebenfalls geformt vom Fluss Jökulsá Fjollum, bevor er sich ein neues Flussbett suchte. Am Ende der Schlucht ist man dreiseitig umgeben von einer 100 Meter hohen, senkrechten Felswand, die der ganzen Szenerie eine eigenwillige Akustik verleiht. Bedenkt man, dass viele Isländer abergläubisch sind, kann man den Reiz dieses Ortes für die Einheimischen gut verstehen.
Ein paar Kilometer weiter liegt Húsavik. Hier muss ich zwischenladen, um bis zum Ziel Akureyri weiterfahren zu können. Húsavik ist ein netter kleiner Ort - hier befindet sich das Zentrum der Walbeobachtung in Island . Auch das Walmuseum ist einen Besuch wert.
Vor Akureyri halte ich noch kurz am Wasserfall Gódafoss, dem Wasserfall der Götter. Akureyri ist die Hauptstadt des Nordens. Etwa 14.000 Einwohner, malerisch gelegen am Ende des tief eingeschnittenen Eyjafjordes.
Nordwestlich von Akureyri beginnt die Halbinsel Tröllaskagi. Auch hier kann man Wale beobachten und im Ort Hauganes gleich noch ein Bad im Atlantik wagen, nachdem man sich im am Strand gelegenen Hot Pot aufgewärmt hat. Ich umrunde die Halbinsel auf dem Weg zur nächsten Station Sauðarkrókur und komme unter anderem durch den schönen Ort Síglofjördur und vorbei am schönsten Freibad Islands in Hófsós. Sauðarkrókur selbst ist der Hauptort des Skagafjordes, der Wiege des legendären Islandpferdes.
Am kommenden Morgen auf den Weg gen Westen steuere ich noch die Grettislaug an, ein Hot Pot, gefühlt am Ende der Welt. Hier badet man in kleinen Becken mit natürlichen Thermalwasser. Bevor ich meine Unterkunft erreiche, umrunde ich noch die Halbinsel Vatnsnes. Hier sind bei Osar auf der einen und bei Hvammstangi auf der anderen Seite der Halbinsel Robben gut zu beobachten. Ladestationen gibt es hier keine, sodass ich hoffe, beim Gästehaus an die Steckdose zu können (was ich auch darf :).
Meine vorletzte Etappe führt mich über die einzigartigen Hraunfossar und vorbei an Deilatunguhver, der produktivsten Heißwasserquelle Islands. Auch hier gibt es keine Lademöglichkeit, und ich muss bis Borgarnes schleichen, um den Ort sicher zu erreichen. Es lohnt unbedingt der Besuch des Settlement Centers, eines wunderbar angelegten Museums zur Besiedlung Islands inklusive eines sehr guten Restaurants.
Von hier bis Reykjavik ist es ein Katzensprung, wo meine Reise dann endet.
Fazit: Die befürchteten Zwischenfälle mit dem Elektroauto sind allesamt ausgefallen. Das Fahren selbst macht unheimlich Spaß, solange man die Reichweite sicher im Griff hat. Hinsichtlich der Energiekosten war meine Runde deutlich preiswerter als mit einem Verbrennerauto.
Trotzdem würde ich besonders Islandneulingen abseits der Südküste (noch) abraten, das Land auf diese Weise zu bereisen. Schließlich soll doch das Erlebnis der grandiosen Natur und vielleicht auch das Hinterfragen der Entstehung all der Naturwunder im Vordergrund stehen und nicht ständig die Frage nach der nächsten Ladesäule und unnötiger Wartezeit dort. Entlang der Südküste ist eine solche Reise durchaus denkbar. Die Beschreibung für eine entsprechende Reise ist in Arbeit.
A. Meißner